Katanga Krankenstation – Eine Klinik mitten im Slum

Im Süden von Lomé an der Küste, direkt neben dem großen Industrie-Hafen, liegt der Stadtteil Katanga – ein Slum. Illegal errichtete Hütten, zusammen geschustert aus dem, was man eben so auftreiben kann, wenn man nichts hat, vor allem Wellblech und Holz. Strom gibt es keinen, zumindest nicht legal. Wasserleitungen sucht man ebenfalls vergeblich, Abwasserleitungen erst recht. Dennoch leben sehr viele Menschen auf engstem Raum und unter den schlimmsten Bedingungen. Regelmäßig treten in diesem Slum längst ausgerottete Krankheiten wieder auf, zuletzt mehrfach Cholera. Wer hier wohnt, stirbt nicht selten daran.
Die meisten Bewohner des Slums stammen aus Togo und den Anrainerstaaten Ghana, Benin, Burkina Faso oder Nigeria. Viele sind Fischer, die in ihren Heimatländern schon ums Überleben kämpften und auf der Suche nach einem besseren Leben im Katanga Slum enden.

Hier, mitten in diesem trostlosen und vergessenen Viertel, steht ein einziges Steinhaus, die Katanga Krankenstation. Bis vor Kurzem wurde Sie von Damien Nofondi, einem studierten Mediziner, so gut es eben möglich war, geleitet. Leider fehlt es der Krankenstation an wirklich allem. Sogar die grundlegendsten Dinge einer medizinischen Einrichtung sind hier nicht vorhanden. Die meisten Erkrankungen sind auf die widrigen Lebensumstände zurückzuführen: Keimbelastetes Trinkwasser aus Brunnen, keine Abwasser- und Müllentsorgung, unzureichende und zu wenig Nahrung und im Notfall eine unzureichende medizinische Versorgung aufgrund der Engpässe bei Medikamenten und Ausstattung. Ein Teufelskreis!

Der Leiter der Krankenstation Damien Nofondi begrüßt uns ruhig und gelassen vor dem Gebäude. Umgeben von den im Slum üblichen vollkommen rudimentären Hüttenverschlägen, wirkt das heruntergekommene Steingebäude fast nobel. Er trägt einen weißen Arztkittel, auf der Brust der Aufdruck „Universitätsklinikum Ulm“. Er erzählt uns, dass die Kleidung aus einer Spende stammt, die er vor Jahren erhalten hatte. Seither ist es seine tägliche Arbeitskleidung. Wir erhalten eine Führung durch die verschiedenen Behandlungszimmer und müssen uns mit unseren Reaktionen doch sehr zurückhalten. Das harmloseste ist das Büro, welches gleichzeitig als Lagerraum für die verschiedensten Dinge herhalten muss. Der Raum für die Medikamente ist der kleinste. Nicht viel mehr als eine Besenkammer, sehr dunkel, und erst nach dem sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, sieht man ein Regal mit 16 quadratischen Fächern. Theoretisch Platz genug für das Nötigste. In 4 Fächern sind ein paar wenige Medikamenten-Verpackungen zu sehen. Sie sind alt und zerdrückt. Abgesehen von einem Malaria-Präparat sehen wir nichts Elementares. Auch als Nichtmediziner erkennen wir, dass diese Ausstattung im Notfall nicht hilfreich sein wird! Selbst grundlegendstes Verbandsmaterial ist nicht vorrätig!
Die Behandlungszimmer offenbaren einen noch schlimmeren Zustand. Betten, wie Requisiten aus einem Film aus dem vorletzten Jahrhundert, zerlöcherte Vorhänge und vollkommen zerfetzte Matratzen. Das Entbindungszimmer für Geburten verfügt über einen weiß gepflasterten Steintisch in der Mitte. Wie eine Frau hier ein Kind zur Welt bringen soll, erschließt sich uns als frisch gewordenen Vätern nicht! Mit Entsetzen vernehmen wir, dass die Krankenstation auch nicht immer über fließend Wasser verfügt und oftmals mit Wasser aus herbeigebrachten Eimern arbeiten muss. Die Frage woher dieses Wasser stammt, ersparen wir uns. In der Ecke dient solch ein Eimer als Abwasser-Eimer – darin eine gebrauchte Urinschale, Fliegen darüber.
Damien macht was er kann. Im Gespräch erzählt er uns mit ruhiger Stimme, wie schwierig es für ihn ist an Medikamente zu kommen. Aufgrund der schlechten Ausstattung kommen viele erkrankte Slumbewohner erst gar nicht in die Krankenstation. Und gänzlich unbehandelt verlaufen zunächst übliche Magen-Darm-Infekte in Kombination mit dem verunreinigten Wasser nicht selten schwerwiegend oder gar tödlich. Nur ein Bruchteil der Entbindungen werden in der Krankenstation vollzogen, da viele Bewohner Hausgeburten vorziehen. Auch heute noch ist dabei die Kinder- und Muttersterblichkeit im landesweiten Vergleich hoch. Trotz der schlechten Ausstattung, kann Damien mit seinem Team aus Schwestern immerhin auf medizinisches Fachwissen zurückgreifen. Doch es fehlt wohl schlichtweg auch an Vertrauen in die Krankenstation. Die Bewohner sind nicht selten Analphabeten oder gar nicht erst zur Schule gegangen. Die Kinder wachsen ohne Bildungssystem im harten Slumalltag auf. Es bedarf zunächst einer langatmigen Aufklärungskampagne, um Vertrauen in die Krankenstation und Damien Nofondi aufzubauen.

Nach unserem ersten Besuch im April 2018 haben wir daher eine Liste zusammengestellt, die auf Damiens dringendsten Wünschen basiert:
Sauberes Wasser, ausreichend Medikamente für die Basis-Versorgung, Verbandsmaterial, sterile Utensilien.
Darüber hinaus ist uns schnell klar geworden, dass nur eine vertrauensvolle Verbindung zwischen den Slum-Bewohnern und der Krankenstation langfristig zum Erfolg führen kann. Vor allem die Frauen müssen im Fokus liegen. Sie sind es, die die Kindererziehung übernehmen und für deren Wohlergehen sorgen. Außerdem erreicht man so bereits mit der Geburt die nächste Generation. Unsere Idee ist es, mit Geschenken für Schwangere, die sich während der Schwangerschaft in der Krankenstation voruntersuchen lassen und dort entbinden eine Brücke zu schlagen. Babystrampler, kleine Schlafanzüge, Mützen, Hosen und Shirts wollen wir bereitstellen. Außerdem haben wir erste Kontakte zu „Ärzte ohne Grenzen“ aufgebaut, um eventuelle Impfkampagnen gegen die dort immer noch sehr häufig vorkommende Kinder-Polio (siehe Projekt Skateboard-Ball) zu organisieren.

Ein Jahr später (2019)

Ein Jahr später und mit den ersten Geschenken im Gepäck besuchen wir Damien erneut in Katanga. Wir wollen mit ihm das weitere Vorgehen besprechen und uns einen Eindruck verschaffen, ob wir die Krankstation im Ganzen als Projekt aufnehmen können. Damit verbunden wären dann nötige Sanierungs- und Renovierungsmaßnahmen. Auch an die vorübergehende Unterstützung durch einen (französisch sprechenden) Arzt aus Deutschland hatten wir gedacht.
Doch bereits mit unserer Ankunft kommt alles anders als gedacht. Erst werden wir zu den „Dorfältesten“ gebracht, um neuerdings eine Drehgenehmigung für die Krankenstation zu ersuchen. Natürlich hatten wir vorab Damien wieder informiert und wollen nur die Klinik filmen, dennoch scheint unsere Anwesenheit nicht allen zu gefallen. Wir versuchen zu erklären, dass wir Spenden mitgebracht haben, die für die Bewohner des Viertels gedacht sind. Und wir geben unser Bestes die mittlerweile aufgebrachte Stimmung wieder zu beruhigen, verstauen unsere Kameras im Rucksack und wollen die verärgerten Männer zu unseren Spendentaschen führen. Nun wird es noch seltsamer. Aus irgendeinem Grund, den wir bis heute nicht verstanden haben, ist die Militärpolizei aufgetaucht. Angeblich hat sie mitbekommen, dass wir im Slum unterwegs sind und es Unruhe gegeben hat. Die Stimmung ist nun angespannt. Das gerade aufkeimende Vertrauen dahin. Und als ob das nicht schon genug wäre, tauchen jetzt zwei Männer auf, die sich als die Clan-Chefs ausweisen. Wir benötigen nun scheinbar ihr Einverständnis um mit Damien ein Interview zu führen. Das bekommen wir zwar nach einiger Diskussion, aber die beiden Männer sitzen tatsächlich das gesamte Interview über in unmittelbarer Nähe und verfolgen jedes Wort von Damien. Wir spüren auch eine Zurückhaltung des sonst freundlichen und uns gegenüber sehr offenen Krankenstations-Leiters. Selbst die Spenden dürfen wir nicht wie mit Damien abgesprochen für die Schwangeren als Geschenk zur Geburt in der Krankenstation übergeben, um das gegenseitige Vertrauen aufzubauen. Wir sollen es unter der inzwischen aufgebrachten Menge verteilen. Wir erklären, dass es zum Großteil Babykleidung ist und können zum Glück noch einige Taschen zurückhalten. Wir wollen uns angesichts der Situation nicht als weiße Wohltäter aufspielen. Darum bitten wir die beiden Clan-Chefs selbst zur Beruhigung der Lage die Kleidung zu verteilen. Sie sollen den Bewohnern erklären, dass jede Frau, die in Zukunft im Krankheitsfall oder zur Entbindung in die Krankenstation kommt, weitere Geschenke zur Unterstützung erhält. Das Ganze geht dann leider bei der Verteilung der Spenden durch die beiden Männer von der Eingangsempore der Krankenstation aus komplett im Chaos verloren. Einige Versuche unsererseits das Durcheinander und Geschrei zu beruhigen verlieren sich unbeachtet. Wir müssen tatsächlich durch den Hinterausgang zurück zum Transporter.

Was wir daraus gelernt haben?

Was wir daraus gelernt haben? Vieles. Zunächst einmal bestätigte sich der Verdacht, dass der schlechte Gesamtzustand der Klinik viele Gründe haben muss, wenn der Leiter Damien trotz seines Engagements so lange auf verlorenem Posten gekämpft hat. Wir erfahren später von Damien, dass er zwar für die Verwaltung der Krankstation verantwortlich ist, das Gebäude jedoch der Regierung gehört und die Clan-Chefs in letzter Instanz stets über alles entscheiden. Wer die Medikamente bezahlt, wer Damien bezahlt, wer die Einnahmen aus dem Verkauf erhält, sind alles Fragen, die jetzt leider Raum für zahlreiche Spekulationen bieten. Die konkrete Koordination, die wir uns von unserem zweiten Besuch erhofft hatten, bleibt so aus.
Weitere Recherchen ergaben, dass vor uns schon andere Hilfsorganisationen in Katanga und speziell in der Krankenstation aktiv waren. Keine ist mehr übriggeblieben. Auch das spricht leider nicht für eine ausreichende Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Und so beschließen wir schweren Herzens dieses Projekt vorerst auszusetzen. Vor wenigen Wochen erreichte uns die Nachricht, dass Damien Nofondi nicht mehr als der Leiter der Krankenstation Katanga tätig ist.